PEER GYNT SUITE NR. 1, OP. 46 (1874/76)

EDVARD GRIEG (1843–1907) 
PEER GYNT SUITE NR. 1, OP. 46 (1874/76)

 



Morgenstimmung – Åses Tod – Anitras Tanz – In der Halle des Bergkönigs

 

Die Musik zu Peer Gynt, Henrik Ibsens dramatischem Gedicht über einen ziellosen Abenteurer, zählt zu den bekanntesten Werken Edvard Griegs. Die erste Suite vereint vier musikalische Episoden, die Grieg 1876 aus seiner umfangreichen Bühnenmusik zur Uraufführung von Ibsens Stück auswählte.

 

Die erste Suite versammelt vier besonders eindrucksvolle Stücke, die musikalisch das weite Spektrum von Peers Abenteuer illustrieren. In der Morgenstimmung begegnet das Publikum einem der berühmtesten musikalischen Naturbilder der Romantik. Mit Åses Tod folgt ein Moment schlichter Trauer und stiller Innerlichkeit. Anitras Tanz spielt mit rhythmischer Eleganz und exotischer Färbung, während In der Halle des Bergkönigs die Welt der Trolle musikalisch zum Beben bringt – ein stetiger Steigerungslauf in Dynamik und Tempo.

 

Peer Gynts Reise ist eine Märchenreise, aber auch eine psychologische: Sie zeigt die Flucht vor Verantwortung und die Sehnsucht nach Identität – ein Thema, das Grieg mit großem Farbenreichtum und emotionaler Tiefe umsetzt.

 

Victoria Kellermann (Sinfonieorchester Opus 125) über das Werk:

 

Edvard Grieg: Peer Gynt Suite Nr.1, op. 46 

 

Eins der berühmtesten und beliebtesten Suiten im Kanon der Musikgeschichte – die Peer Gynt Suite von Edvard Grieg. Wie kaum eine andere Musik, haben es die Stücke in Filme, Videospiele und sogar Werbungen geschafft. Besonders die Morgenstimmung und in der Halle des Bergkönigs können eigentlich als Teil der Popkultur gewertet werden.  

Doch wie kam es zur Entstehung dieser nahezu zeitlosen Suite?

 

Wir befinden uns in Rom, im Jahr 1866. Zwei Norweger, der Schriftsteller Henrik Ibsen und der Komponist Edvard Grieg, treffen sich im Sommer in der Ewigen Stadt. Ibsen feiert gerade große Erfolge mit seinem Versdrama Peer Gynt. Und was tut man, wenn ein literarisches Werk durch die Decke geht? Richtig: Man macht ein Bühnenstück daraus. Ibsen beschloss, Grieg für die musikalische Untermalung zu beauftragen.

 

Er war anfangs nicht grade begeistert von der Idee, denn ihm erschien das Sujet etwas zu sperrig, zu düster. Es dauerte eine Weile, bis er sich in die Handlung eingearbeitet hatte. Auch das Komponieren fiel ihm diesmal schwerer als bei anderen Werken. Doch wie so oft war der stärkste Antrieb das liebe Geld.

 

Einige Jahre vergingen, bis es schließlich 1876 in Kristiania (heute Oslo) zur Uraufführung kam und das Werk wurde ein voller Erfolg. Grieg hatte im Vorfeld Zweifel, ob das Orchester seiner Heimatstadt der Aufgabe gewachsen sei, und komponierte daher bewusst zurückhaltend und sparsam, um auf Nummer sicher zu gehen. Dennoch entstand ein beeindruckender Zyklus aus 26 Musiknummern, darunter auch Lieder und Chöre. 

 

Ermutigt durch das begeisterte Publikum und positive Kritiken, stellte Grieg später eine Auswahl seiner Lieblingsstücke zusammen – quasi eine Art „Best of“ seiner eigenen Hits. Die Peer Gynt-Suiten waren geboren. Ewas besseres hätte er nicht tun können. 

Mit der Veröffentlichung der 1. Suite im Jahr 1888 (die 2. folgte 1891 mit vier weiteren Sätzen) bewahrte er seine Musik vor dem Vergessen. Die beiden Suiten sind bis heute ein Paradebeispiel für Griegs Meisterschaft in der Orchestrierung. Jeder Satz besitzt seine eigene Klangwelt, und doch tragen alle unverkennbar seine Handschrift. Dabei folgt die Reihenfolge der Stücke nicht dem Handlungsverlauf des Dramas.

 

Das erste Stück, die Morgenstimmung, ist zweifellos das prominenteste Produkt der Sammlung: Allein die ersten Takte tragen eine der schönsten und zartesten Flötenmelodien in sich, die die Romantik zu bieten hat. Diese Melodielinie entfaltet sich behutsam, nahezu tastend, vergleichbar einem ersten, vorsichtigen Augenaufschlag, und entwickelt sich schrittweise zu einer breit angelegten, wellenförmigen Phrase. Mit zunehmender instrumentaler Dichte erwacht das Orchester allmählich – ein kompositorisches Abbild des Sonnenaufgangs, das in seiner klanglichen Gestaltung von außerordentlicher Farbigkeit geprägt ist. Die Morgenstimmung ist der Inbegriff einer musikalischen Pastorale: Die Struktur, das Tempo, die orchestrale Textur sowie der motivische Aufbau schaffen eine Atmosphäre kontemplativer Naturverbundenheit. 

 

Ganz anders die Nummer 2 der Suite: Åses Tod. Stimmungsmäßig steht sie im scharfen Kontrast zur lichtdurchfluteten Morgenstimmung. Es handelt sich um eine klanglich reduzierte, ausschließlich von den Streichern getragenes Klagelied, deren schlichte Melodik und homophone Satztechnik eine tiefgreifende emotionale Wirkung entfalten und als eine der eindrucksvollsten Elegien der Romantik gilt, nicht zuletzt aufgrund seiner klaren Form und der ökonomischen, aber wirkungsvollen Instrumentierung. Die dramaturgische Vorlage, der Tod von Åse, der Mutter Peer Gynts, im dritten Akt (sorry für den Spoiler) spiegelt sich in der musikalischen Anlage unmittelbar wider. In zwei markanten Spannungsbögen scheint sich Åse gegen das Unvermeidliche aufzubäumen, ehe sie in den letzten Takten endgültig entschläft.

 

Im dritten Satz, Anitras Tanz, betreten wir eine klanglich stilisierte, exotifizierte Sphäre. Hier deutet Grieg eine „orientalisch“ gefärbte Klangwelt an, die dem westlichen Bild des Nahen Ostens des 19. Jahrhunderts entspricht, geprägt von Mystik, Sinnlichkeit und Fremdartigkeit. Es handelt sich um den Tanz der marokkanischen Prinzessin Anitra, die Peer Gynt im vierten Akt in ein Liebesabenteuer zieht. Charakteristisch für den Satz ist der ausgeprägte Gebrauch von Pizzicati in den Streichern, die dem Stück eine filigrane, beinahe schwebende Leichtigkeit verleihen. Die reduzierte Instrumentierung, kombiniert mit tänzerischer Rhythmik und ornamentierten Melodielinien, erzeugt eine Atmosphäre der Verführung und des Unwirklichen. Da wird auch der stärkste Krieger schwach. 

 

Die raffinierte Verbindung aus tänzerischem Gestus, schlichter Formgebung und einer Prise des exotischen „Je ne sais quai“, macht dieses Stück zu einem Paradebeispiel für musikalischen Orientalismus in der europäischen Romantik. 

 

Das letzte Stück der Suite, In der Halle des Bergkönigs, ist nicht nur ein Aushängeschild Griegs, sondern auch der Soundtrack zahlreicher Filmszenen, in denen das Chaos unaufhaltbar um sich wütet, wie zum Beispiel in Die Simpsons oder im deutschen Blockbuster 7 Zwerge – Männer allein im Wald. 

 

Düster und bedrohlich beginnt es mit einem unheilvollen Grollen in den tiefen Registern des Orchesters. Dieses motivisch reduzierte Material, zunächst kaum mehr als eine schlichte chromatisch aufsteigende Linie, dient als Keimzelle für die anschließende Steigerungswelle. Nach und nach schließen sich weitere Instrumentengruppen an, bis die Musik fieberhaft an Intensität zunimmt. Wortwörtlich werden alle Register gezogen: Der orchestrale Klang explodiert, thematische Fragmente rasen in nervöser Repetition durch das Ensemble, während das Tempo konstant beschleunigt. Der Effekt ist hypnotisch und bedrohlich und ähnelt einer kontrollierte Panikattacke. In dieser wütenden Raserei kulminiert das Stück in einer Art orchestralem Kollaps und das massive Klang-Kartenhaus bricht in sich zusammen. Der finale Tutti-Schlag dient dabei gleichzeitig als Katharsis und Abgrund.

 

Auch wenn die Stücke in der heutigen Zeit öfter mal zweckentfremdet worden sind, kann man ihren Einfluss in der Musik- und Kulturgeschichte nicht leugnen. Griegs Suite ist ein Paradebeispiel dafür, wie man aus vergleichsweisen einfachen Melodien zeitlose Klassiker schafft, die bereits einige Generationen begeistern. Gerade diese Qualität macht sie so besonders und erklärt, warum sie bis heute immer wieder neu entdeckt und verwendet wird.