Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847)
Ein Sommernachtstraum, op. 61 – Nocturne (1843)
Felix Mendelssohn war ein Wunderkind der Romantik, das Literatur und Musik meisterhaft verband. Bereits als Jugendlicher komponierte er 1826 die berühmte Ouvertüre zu Shakespeares Komödie Ein Sommernachtstraum, die er 1843 auf Wunsch des preußischen Königs um eine vollständige Bühnenmusik ergänzte. Das zarte Nocturne ist Teil dieser späteren Komposition.
Als musikalisches Zwischenspiel zwischen zwei Akten begleitet das Nocturne die zauberhafte Traumwelt des nächtlichen Elfenwaldes. Mit seinen weichen Hörnern, schwebenden Holzbläsern und lyrischen Melodiebögen fängt es die Atmosphäre magischer Ruhe ein – ein Klangbild zwischen Realität und Illusion, zwischen Liebesverwirrung und poetischer Klarheit.
In Shakespeares Komödie herrscht ein zauberhaftes Chaos zwischen Liebenden, Elfen und Handwerkern. Das Nocturne, meist zwischen zwei Aktwechseln gespielt, reflektiert die Ruhe nach dem magischen Trubel, wenn Traum und Wirklichkeit ineinanderfließen. Mendelssohns Musik vermittelt die Atmosphäre einer mondhellen Nacht, in der sich das Unterbewusste zeigt – voller Sehnsucht, Verwirrung und Poesie.
Victoria Kellermann (Sinfonieorchester Opus 125) über das Werk:
Felix Mendelssohn Bartholdy Ein Sommernachtstraum, op. 61 „Nocturne“ (1826)
Sommer, Liebe, Griechenland – Bei den Worten denken vermutlich viele zuerst an das Musical Mama Mia! mit den Hits von ABBA. Ich ehrlich gesagt auch. Aber im Kontext von Dramen und klassischer Musik kommt ein weiterer Titel in den Sinn: Ein Sommernachtstraum von Felix Mendelssohn Bartholdy, basierend auf der Komödie von William Shakespeare aus dem späten 16. Jahrhundert.
Die Geschichte lässt sich recht knapp zusammenfassen (was bei Shakespeare selbst nicht ganz so oft der Fall ist): Zwei junge Liebespaare aus Athen werden in der Mittsommernacht durch Zaubertränke verwirrt, sodass jeder plötzlich jemand anderen liebt. Parallel dazu durchlebt das Elfenkönigspaar Oberon und Titania eine Ehekrise und spielt mit den Gefühlen der Menschen – ein heiteres Chaos also, das sich am Ende natürlich in klassischer Komödienmanier auflöst: Jeder findet zurück zu dem Menschen, zu dem er oder sie auch wirklich gehört.
Shakespeares Komödie ist ein Tanz zwischen Illusion und Wirklichkeit, Traum und Erwachen, Mythos und Menschlichem. Damals wie heute genießt das Stück große Beliebtheit und wurde unzählige Male inszeniert, vertont und verfilmt. Nicht nur Literatur, sondern auch Musik hat die Fähigkeit, das Irreale einzufangen, das, was sich zwischen den Worten, zwischen Schlaf und Wachen, zwischen Wunsch und Wirklichkeit abspielt.
In jungen Jahren sahen die Geschwister Felix und Fanny Mendelssohn eine Aufführung der Komödie und waren begeistert – so sehr, dass Felix mit nur 17 Jahren eine Ouvertüre dazu komponierte (op. 21). Ursprünglich als Klavierfassung zu vier Händen im privaten Rahmen gedacht, orchestrierte er sie 1827 und legte damit den Grundstein für eine der bekanntesten Schauspielmusiken des 19. Jahrhunderts.
Mendelssohns Begeisterung für Shakespeares Komödie blieb bis zum Ende seines kurzen Lebens bestehen. 1843 schrieb er schließlich, auf Anweisung von Friedrich Wilhelm IV von Preußen, eine vollständige Bühnenmusik zum Sommernachtstraum. In der damaligen Aufführungspraxis war es üblich, zwischen den fünf Akten Pausen einzulegen zum Umbauen und Umziehen. Mendelssohn fügte in diese Phasen musikalische Zwischenspiele ein. Sie sollten nicht einfach nur überbrücken, sondern auch die Atmosphäre und die Handlung musikalisch festhalten.
Eines dieser Intermezzi ist die Nocturne, die zwischen dem dritten und vierten Akt erklingt. Zum Einordnen Die Liebespaare haben sich im verwunschenen Wald zur Ruhe gelegt, Puck, der schelmische Diener des Königs, mischt sich wieder ein und träufelt Lysander einen Liebestrank auf die Lider, damit er sich wieder in seine Hermia verlieben kann. Und während auf der Bühne alles stillzustehen scheint, erfasst das Orchester den Charakter der Szene.
Mendelssohn greift auf die Symbolik der deutschen Romantik zurück, in der das Horn, seit Carl Maria von Webers Freischütz das Horn mit der Waldlandschaft verbindet, fest mit der mystischen Waldlandschaft assoziiert wird. Damit eröffnet er die Szene und beschwört die ruhige Waldnacht herauf. Keine großen Gesten, keine extreme Dynamik – nur ein zartes Schlummern der Natur und der auf der Bühne ruhenden Figuren. Erst später gesellt sich die Streichergruppe mit behutsamen Liegetönen dazu, auf denen das Horn gebettet wird.
Doch dieser Schlaf ist kein tiefer, ungestörter Schlummer. Denn der Zaubertrank entfaltet seine Wirkung, und das Innenleben Lysanders gerät in Bewegung. In der Musik äußert sich das durch Triolen in den Streichern. Sie sind nicht wild, aber das Schlafkonstrukt wird spürbar destabilisiert und die wiegende Ruhe wird irritiert.
Beruhigende Flötenmelodien setzen sich wie eine sanfte Decke über das unstete rhythmische Pulsieren. Es entsteht eine Musik des Dazwischen: ein Schwebezustand zwischen Traum und Alptraum, zwischen körperlicher Ruhe und seelischer Unruhe. Man könnte fast meinen, Lysander werde gleich erwachen und doch hält ihn die Musik schützend in ihrer Umarmung. Die unruhige Bewegung der Streicher verdichtet sich schließlich zu einem gleichmäßigen Puls, einem Herzschlag, der andeutet: Alles ist wieder gut. Am Ende verklingt die Musik in einem wunderschönen, fast himmlischen E-Dur-Akkord.
Ein Sommernachtstraum ist letztlich ein theatrales Spiel mit Identitäten, Begehren, Täuschungen – und einem überraschend versöhnlichen Ausgang. All das passiert in einer einzigen, verzauberten Nacht, irgendwo zwischen Wirklichkeit und Illusion. Genau darin liegt auch die verblüffende Parallele zu Mamma Mia: Auch hier treffen Figuren in mediterraner Kulisse auf verdrängte Gefühle, romantische Verwirrungen und die Suche nach dem „richtigen“ Gegenüber. Die Nocturne ist dabei nur eines von vielen Beispielen, diese Gefühle darzustellen. Ob im Elfenwald oder auf einer griechischen Insel: Am Ende ist es die Kraft der Musik, die die Fäden wieder zusammenführt.
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