Suite „Burlesque de Quixote“ (1730)

Georg Philipp Telemann (1681–1767)
Suite „Burlesque de Quixote“ (1730)

 

 

Ouverture – Le Réveil de Quichotte – Son Attaque des Moulins à Vent – Les Soupirs amoureux après la Princesse Dulcinée – Le Couché de Quichotte

 

Georg Philipp Telemann, einer der vielseitigsten Komponisten des Barock, schuf mit seiner Suite Burlesque de Quixotte ein frühes Beispiel für erzählende, programmatische Orchestermusik. Inspiriert von Miguel de Cervantes’ weltberühmtem Roman Don Quijote, überträgt Telemann zentrale Episoden des Ritters von der traurigen Gestalt in musikalische Bilder – mal augenzwinkernd, mal zärtlich verspielt.

 

Die Suite beginnt mit einer Ouvertüre im französischen Stil, bevor Don Quijotes Abenteuer in musikalischen Szenen lebendig werden: Sein Erwachen als Ritter, der dramatische Kampf gegen die Windmühlen, seine sehnsuchtsvollen Gedanken an Dulcinea und schließlich seine Rückkehr zur Ruhe. Telemann gelingt es, mit barocker Eleganz und feinem Humor den Grenzgang zwischen Fantasie und Realität zu illustrieren – genau wie Cervantes, der in seiner Geschichte die Macht von Träumen, aber auch ihre Tragik zeigt.

 

Victoria Kellermann (Sinfonieorchester Opus 125) über das Werk:

 

Georg Philipp Telemann: Suite Burlesque de Quixote TWV 55:G10

 

Georg Philipp Telemann war einer der erfolgreichsten Komponisten des Barock, ein wahrer musikalischer Alleskönner mit beeindruckender Arbeitsethik. Unzählige Instrumente hat er sich selbst beigebracht und komponierte Kantaten für diverse Kirchen in Deutschland, als würde es kein Morgen geben. Über 3600 Werke sind von ihm überliefert – darunter Opern, Kantaten, Instrumentalkonzerte und so ziemlich alles, was der barocke Formenkatalog hergibt.

 

Bemerkenswert: Im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen konnte Telemann von seiner Musik tatsächlich leben. Er dachte unternehmerisch, veröffentlichte seine Werke eigenhändig und kümmerte sich selbst um den Druck. Nicht aus Eitelkeit, sondern zur Kostensenkung. Telemann, der Self-Publisher des Barock.

 

Stilistisch war der Komponist ein Grenzgänger mit Weitblick. Er verschmolz nationale Stile mit bewundernswerter Nonchalance und einem Schuss musikalischer Ironie. Mal französisch galant, mal italienisch expressiv, dann wieder mit einem slawischen Tanzrhythmus um die Ecke kommend, sein Stil ist wie ein barockes Patchwork.

 

Und woher kam all die Inspiration? Aus seiner Umgebung, natürlich. Telemann war ein akustischer Schwamm: Glockenschläge, Naturklänge, Alltagsbeobachtungen – alles fand seinen Weg in seine Musik. Doch nicht nur das: Auch die Literatur inspirierte ihn. Besonders angetan hatte es ihm ein Bestseller, der sogar bis heute überlebt: El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha, zu Deutsch Der sinnreiche Edelmann Don Quixote von der Mancha, geschrieben vom spanischen Autor Miguel de Cervantes. 

 

Miguel de Cervantes Saavedra hatte Anfang des 17. Jahrhunderts offenbar genug von all den übertriebenen Rittergeschichten – also schrieb er kurzerhand selbst eine. In zwei Teilen (1605 und 1615) erzählte er die wunderlich tragikomische Geschichte des Alonso Quixano, eines belesenen Herren, der so viele Ritterromane verschlang, dass er irgendwann den Bezug zur Realität verlor. Fortan nannte er sich Don Quixote, schwang sich auf sein klappriges Pferd Rosinante und zog mit seinem treuen Begleiter Sancho Panza los, um Abenteuer zu erleben. Er kämpfte heldenhaft gegen Windmühlen, die er für gefährliche Riesen hielt, schwärmte ritterlich für die imaginäre Prinzessin Dulcinea del Toboso und fand bei seiner Abenteuersuche vor allem: Missverständnisse, Prügel und Rücktransporte nach Hause. Doch Don Quixote wäre nicht Don Quixote, wenn er es nicht beim nächsten Mal wieder versuchen würde. 

 

Gerade in seiner Don Quichotte-Suite zeigt sich Telemanns Talent zur musikalischen Karikatur. Die Figuren des Romans – der dürre Ritter, sein dicklicher Knappe, das edle Ross (mit fragwürdigem Gesundheitszustand) und der Esel – werden nicht nur portraitiert, sondern liebevoll musikalisch durch den Kakao gezogen. Telemann nutzt Programmmusik als Bühne für feinen Humor und geistreiche Beobachtung. Die Themen sind prägnant, oft bewusst überzeichnet und sind klar dem galanten Stil zuzuordnen, aber stets mit einem Augenzwinkern.

 

Bereits in der Ouvertüre spiegelt sich der Glanz und das Elend des spanischen Ritters wider. Erhabene, schreitende Akkorde, wie sie einem Adeligen würdig sind, werden mit tänzelnden Elementen pariert, als hätte Don Quixote beim Einzug in den Thronsaal den Teppich übersehen. Die Grenzen zwischen majestätischem Ernst und unfreiwilliger Komik verschwimmen hier mit Absicht. Größe und Groteske sind eben oft nur einen Takt voneinander entfernt.

 

Umso markanter hebt sich die musikalische Darstellung des berühmten Windmühlenkampfs ab: Telemann setzt hier auf eine affektgeladene Musiksprache, die den heroischen Gestus Don Quixotes bewusst übersteigert. In schnellen, aufgewühlten Rhythmen, mit dynamischen Akzenten und schneidenden Bewegungsmotiven lässt er seine Waffen musikalisch aufblitzen.

 

Während sich Don Quixote in seiner Liebe zu Dulcinea verliert, muss sein treuer Knappe Sancho Panza die sehr realen Konsequenzen tragen. Telemann vertont diese Szene, in der der Schildträger im Wirtshaus für die Schulden seines Herrn büßen muss, mit bemerkenswerter Plastizität. Der musikalische Satz ist geprägt von unruhigen Rhythmen, abrupten Akzenten und geradezu „hau drauf“ Motivwiederholungen, die das Bild des zappelnden, schreienden Sancho Panza im Sack klanglich lebendig werden lassen. 

 

Auch die tierischen Begleiter erhalten bei Telemann ihren musikalischen Auftritt als klangliche Spiegelbilder ihrer Besitzer. Rosinante, die kranke Stute des Hauptcharakters, wird ironischerweise sehr erhaben porträtiert. Mit Wissen ihres Zustandes suggeriert Telemann: Dieses Pferd hat seine besten Tage definitiv hinter sich, glaubt aber noch immer an seine adelige Turniervergangenheit. Während Rosinante von galoppierendem Größenwahn träumt, bleibt Sanchos Esel ganz bei sich. Seine musikalische Darstellung ist eigensinnig und bockig: sture Tonwiederholungen, vergleichsweise gemütliches Tempo und gelegentliche lautmalerische Einsprengsel – das berühmte „i-a“ scheint nicht fern. 

 

Nach so viel Abenteuer, Tumult und Täuschung senkt sich schließlich der Schlaf über Don Quixote. Es ist kein friedliches Wegdämmern, sondern ein inneres Toben zwischen Traum und Wahn. Telemann lässt die Musik noch einmal mit hastigen Bewegungen, flatternden Rhythmen und überdrehten Figuren aufleben, als wolle der Ritter selbst im Schlaf nicht von seinen Fantasien lassen.

 

Es ist ein herrlich widersprüchlicher Schluss: Der Körper liegt, der Geist reitet weiter. Und so bleibt Telemanns musikalisches Porträt seinem Helden treu bis zum letzten Takt – komisch, überzeichnet, voller Affekt und doch nie ohne Zuneigung. Ein letztes, wildes Aufbäumen gegen die Realität.