Das Jubiläumsprogramm

Franz Schubert. Ouvertüre im italienischen Stile, D 591

Dass Franz Schubert trotz seines kurzen Lebens ein unermüdlicher Komponist war, ist kein Geheimnis. Über 600 Lieder, neun Sinfonien (fast alle vollständig) und eine Fülle an Kammermusik stammen aus seiner Feder. Aber woher kam die Inspiration? Aus der Muse? Aus der Natur? Oder doch, wie Heinrich von Kreißle in seiner Biografie verrät, aus dem Weinglas?

 

Es war ein typischer Novemberabend in Wien, 1817. Die italienische Oper war gerade der letzte Schrei, und Gioachino Rossini der Star der Stunde. Der zwanzigjährige Schubert kommt mit einem Freund aus einer Aufführung von Rossinis „Tancredi“. Bei einem Glas Wein im Gasthaus wird über das Gehörte diskutiert. Schuberts Freund lobt die Ouvertüre überschwänglich – worauf Schubert spöttisch meint: „Das kann ich auch!“ Aus dieser Bemerkung entsteht eine Wette: Schubert soll eine Ouvertüre im Stil Rossinis schreiben.

 

Gesagt, getan. Kaum zu Hause, vermutlich noch leicht beschwingt vom Wein, setzt sich Schubert an den Schreibtisch. Und weil er nicht kleckern, sondern klotzen will, komponiert er nicht nur eine, sondern gleich zwei Ouvertüren „im italienischen Stil“ – D 590 in D-Dur und D 591 in C-Dur. Beide orchestriert er vollständig und fertigt zusätzlich eine vierhändige Klavierfassung an.

 

Unsere Ouvertüre, D 591, erklang erstmals 1830 im Wiener Landhaussaal. Ihr humorvoller Charakter und die Nähe zur italienischen Oper machten sie beim Publikum sofort beliebt. Schubert selbst konnte den Applaus leider nicht genießen, da er bereits zwei Jahre zuvor nach langwieriger Krankheit starb. Was ursprünglich wohl als Parodie gedacht war, erhielt vermutlich von Schuberts Bruder Ferdinand den diplomatischen Titel „Ouvertüren im italienischen Stile“, um die Rossini-Fans nicht zu verärgern. Unter diesem Namen sind die Werke bis heute bekannt.

 

Schon der Beginn verrät die Vorlage: kurze, aufsteigende Streicherketten im Unisono, ganz wie in Rossinis „Tancredi“. Auch die typischen Akkordwiederholungen mit steigender Dynamik fehlen nicht; alles für die große Dramatik! Doch trotz der augenzwinkernden Anleihen bleibt der Stil unverkennbar Schubert: melodische Linien, die man ebenso gut singen wie spielen könnte, feine Texturen, überraschende harmonische Wendungen. Hier blitzt Schuberts poetische Handschrift durch.

 

Insgesamt schrieb Schubert 18 Ouvertüren für Opern, Singspiele und als eigenständige Konzertstücke. Aber diese beiden italienischen Ouvertüren sind etwas Besonderes: Sie zeigen Schubert von seiner humorvollen Seite, als Komponist, der nicht nur tief empfinden, sondern auch charmant parodieren konnte.

Der Wetteinsatz war übrigens, wen mag das wohl überraschen, ein gutes Glas Wein.

 


Dimitri Shostakovich, Walzer Nr. 2 aus der Suite für Varieté-Orchester

 

Manche Melodien sind für die Ewigkeit bestimmt – sie überdauern Kriege, Systeme und Moden. Schostakowitschs Walzer Nr.?2 gehört dazu. Weltberühmt wurde er durch AndréRieus Aufnahme für Stanley Kubricks Eyes Wide Shut(1999), die das Stück endgültig in den Rang eines Klassikers erhob. Doch hinter dieser Popularität verbirgt sich eine Geschichte voller Brüche.

 

Komponiert wurde der Walzer 1938, in einer Zeit, die von Angst und Anspannung geprägt war. Der Zweite Weltkrieg wirft bereits seine Schatten voraus, und doch erklingt diese Musik scheinbar sorglos, mit tänzerischer Eleganz und einem Lächeln auf den Lippen. Aber ist es ein echtes Lächeln oder die Maske, die man der Welt zeigt, wenn man keine Wahl hat? Schostakowitsch beherrscht diese Kunst der Doppelbödigkeit meisterhaft: Unter der glänzenden Oberfläche lauert eine leise Tragik, eine Ahnung von Verzweiflung. Die fröhliche Melodie wird zur Fassade, hinter der sich die Angst verbirgt.

 

Musikalisch ist der Walzer mehr als nur ein Tanzstück. Er schwebt im klassischen 3/4-Takt, mit einer weit ausschwingenden, eleganten Melodie, die auf den ersten Blick heiter wirkt. Doch Moll-Färbungen, chromatische Wendungen und subtile Dissonanzen verraten eine andere Wahrheit: Hinter dem Glanz liegt Melancholie. Saxophon und Klarinette verleihen dem Klang einen Hauch von Varieté, während Streicher und Schlagwerk für die große Geste sorgen. Ein Walzer, der lächelt und doch dabei leise seufzt. Selbst die gezielten Anklänge an jüdische Musik sind kein Zufall: Sie dienen als subtiles Zeichen des Widerstands und als kritischer Kommentar zur politischen Realität.

 

Und dann verschwand die Partitur – einfach so, im Chaos der Zeit. Jahrzehntelang glaubte man, sie sei verloren. Erst in den späten 1980er Jahren tauchten die Noten wieder auf, allerdings unter falschem Namen: Man hielt sie für die 2. Jazz-Suite. 1988 gab es eine triumphale Wiederaufführung.Ein Irrtum, wie sich später herausstellte. Denn 1999 fand man den Klavierauszug der echten 2. Jazz-Suite, und plötzlich war klar: Der berühmte Walzer gehört zur Suite für Varieté-Orchester. Seitdem wissen wir: Selbst Musik kann ihre Identität erst verlieren und dann wiederfinden. Vielleicht ist das die schönste Pointe dieser Geschichte.

 

 

Antonin Dvo?ák. Symphonie Nr. 8 op. 88

 

Was nach harter Zeit am meisten heilt, ist ein wohlverdienter Urlaub. So war es auch bei Antonin Dvo?ák. Er schrieb seine 8. Symphonie zwischen dem 26. August und dem 8. November 1889 und verbrachte diese Zeit in seiner Sommerresidenz in Vysoká, einem ruhigen Dorf gut 50 km südwestlich von Prag. Dort blies ihm die Landluft offensichtlich neue Melodien ins Ohr; die Musik klingt ausgeglichener, entspannter und sonniger als in der unmittelbaren Krisenzeit, die sich noch in seiner 7. Symphonie und dem Klaviertrio in g-Moll zeigt. In seiner Krise suchte er nach Antworten auf die fundamentalen Fragen und Probleme der menschlichen Existenz.

 

Die 8. ist eine Feier des Lebens: Voller Lebensfreuden, Naturglück und mit deutlichen Anklängen an tschechische und slowenische Volksmusik. Man hat den Eindruck, Dvo?ákspaziert mit uns durch eine Landschaft — mal blüht eine Wiese, mal rauscht ein Wald, dann wieder eine Dorfszene mit Tanz und Trommel. Charakteristisch sind die schnellen Stimmungswechsel, leuchtende Sequenzen, pastorale Bilder sowie heitere Tanz- und Marschpassagen.

 

Die Themen haben oft liedhaften Charakter; die Konturen bleiben überwiegend glatt, harmonisch diatonisch, wie sanfte Hügel, nicht schroffe Felsen. Formal besteht die Symphonie aus vier Sätzen, doch Dvo?ák behandelt die Form mit großer Freiheit: Was auf dem Papier wie die klassische Sonatenhauptsatzform für den ersten Satz aussieht, entpuppt sich bei genauem Hinhören eher als Folge zusammenhängender thematischer Landschaften statt starrer, klar getrennter Themen. Der Beginn wirkt frisch und beinahe frühlingshaft; ein späterer, rauerer Themenblock erinnert in seiner Ruppigkeit an Dvo?áks später veröffentlichte Neunte Symphonie („Aus einer neuen Welt“), ohne jedoch den Eindruck zweier völlig fremder Welten zu erzeugen. Es ist eher wie wechselndes Wetter über derselben Landschaft zu vergleichen.

 

Der zweite Satz, ein Rondo, funktioniert wie ein Kaleidoskop der Stimmung: Motive und Farben vermischen sich immer wieder neu.

 

Trotz ausbleibender auffälliger Takt- oder Tempowechsel können die ersten beiden Sätze gelegentlich frei-rhapsodische Züge annehmen, einfach weil die Empfindungen ständig wechseln.

 

Das Scherzo des dritten Satzes ist leicht melancholisch und mit einem wiegenden Charakter. Er hat weniger Frohsinn und Humor und legt den Schwerpunkt auf die ruhige Grazie eines Menuetts. Trotzdem konnte Dvorak es sich nicht nehmen diesen Satz mit einem Volks- oder Bauerntanz enden zu lassen, der seine böhmischen Wurzeln repräsentiert.

Der Finalsatz beginnt mit einer markanten Fanfare, die in einen Variationensatz führt und dabei den stärksten Eindruck von Einheitlichkeit vermittelt. Der feierliche Schluss hat einen Hauch von „Eroica“-Anmut – nicht als Kopie, sondern eher als ehrwürdiges Echo Beethovens.

 

In manchen Quellen wird die 8. Symphonie auch „Englische Symphonie“ genannt, weil sie zuerst in England publiziert wurde. Das liegt daran, dass Dvo?ák sich zuvor mit seinem Verleger des Vertrauens Simrock zerstritten hat. Die Londoner Premiere hinterließ Eindruck: Kritiker lobten Dvorák als einen würdigen Erben Beethovens.

 

Auch in Deutschland war der Erfolg deutlich; die Erstaufführung am 6. Januar 1890 in Frankfurt wurde enthusiastisch aufgenommen. Selbst der berühmt-berüchtigte Kritiker Eduard Hanslick, der üblicherweise nicht zu den gnädigen Zeitgenossen gehörte, fand lobende Worte. Er bemerkte, dass die Symphonie die Handschrift des Komponisten trägt, trotzdem ganz anders sei als ihre Vorgänger. Außerdem schrieb er in der „Neue Freie Presse“ Anfang des Jahres 1891:

 

„Dvorak ist ein ernsthafter Künstler, der viel gelernt hat und doch über dem Gelernten seiner Naivität und Frische nicht verlustig geworden ist. Aus seinen Werken spricht eine originelle Persönlichkeit und aus dieser Persönlichkeit weht der erfrischende Athem des Unverbrauchten und Ursprünglichen.“

 

Text: Victoria Kellermann

 

 


Design: Paula Vollmer


DOWNLOAD PROGRAMMHEFT:

 

Jubiläumsprogramm_23.11.25